20 août 2007

Cravan


Noch etwas Sand aus dem Golf von Mexiko

Unbekannte Briefe von Arthur Cravan

Roberto Ohrt / Bastiaan van der Velden / Walter van der Star

Wer oder was Arthur Cravan, 1887 als Fabian Avenarius Lloyd in Lausanne geboren, letztlich gewesen ist, bleibt auch 85 Jahre nach seinem Verschwinden genauso unklar wie der Ausgang seines womöglich letzten Abenteuers, als er sich im Herbst 1918 mit einem Boot nur für eine kurze Probefahrt auf den Golf von Mexiko hinaustreiben ließ und nicht zurückkehrte. Danach sah weder seine Frau noch einer seiner Freunde oder Bekannten ihn jemals wieder. Roger Conover hat zwar inzwischen einige Indizien aus den zwanziger Jahren zusammengetragen, die das Muster seiner Gaunereien und auch die Umrisse seiner Person erkennen lassen, aber als »Boxer und Poet« trat er nie mehr in Erscheinung.

Im letzten Jahr gab Bastiaan van der Velden aus reiner Neugierde das Stichwort »Cravan« in die Suchmaschine des Internationalen Instituts für Sozialgeschichte (IISG) ein, und zu seiner großen Überraschung lieferte sie ihm den Hinweis auf einige Briefe, die zum Dossier Eugène Humbert gehören. Bislang hatte niemand in der Forschung von diesen Briefen gewusst. Van der Velden bringt in Amsterdam eine kleine pataphysische Zeitschrift heraus, Les Harangères, und dort publizierte er zusammen mit Walter van der Star den Fund, versehen mit einigen Anmerkungen und einer kurzen Erläuterung zu Eugène Humbert. Natürlich sind die leichten Sprachspiele des Hochstaplers, Deserteurs und Vagabunden nicht vollständig übersetzbar, aber das Fragment dieser wenigen Mitteilungen ähnelt so sehr dem Bild des Lebens, das von Cravan bislang gezeichnet wurde, dass wir uns entschieden, sie hier erstmals in deutscher Sprache zu veröffentlichen, etwas gekürzt um einige technische Angaben und Details.

Roberto Ohrt


Eugène Humbert wird am 6. März 1870 in Metz geboren. Als libertärer Aktivist, Pazifist und Anhänger der Schriften von Malthus entdeckt er schon in jungen Jahren den Anarchismus und die Aktivität der Gruppe »Liberté«. Seitdem wird er in den Akten der Polizei als »gefährlicher Anarchist« geführt. Als 1914 der Krieg ausbricht, flieht er nach Barcelona, wo seine Frau Jeanne bald zu ihm stößt. Kaum sind sie 1919 nach Frankreich zurückgekehrt, wird Eugène verhaftet und wegen Fahnenflucht zu fünf Jahren Gefängnis verurteilt. 1939 wird er erneut inhaftiert. Am 25. Juni 1944, kurz vor seiner Freilassung, verliert er im Hospital von Amiens während eines Bombardements der Alliierten sein Leben.

Die Briefe von Arthur Cravan an Eugène Humbert werden im IISG in Amsterdam aufbewahrt. Im dortigen Fach für Humbert finden sich auch einige Briefe des Bruders von Arthur, Olho Lloyd. Er schreibt zum Beispiel: »Anscheinend sollte Cravan zum Wehrdienst eingezogen werden. Ich weiß nicht, ob ich diese Sache verstanden habe.« (Tossa, 6. 8. 1917)


Diesen Donnerstag [September 1916]

Mein guter Alter

Sie haben kein Glück mit Ihrem Zaster.

Ich rate Ihnen, sich ran zu halten; noch könnten Sie einen Teil Ihres Geldes zurückbekommen und dafür sorgen, dass die alte Kupplerin für ein paar Jährchen im Knast schmort; das garantiert immer heitere Aussichten. Danke für das Abonnement der »Vanguardia«. Ich schätze sie sehr. Der Maulkorb für Paulo bleibt unauffindbar.

Ich habe das Päckchen von »Siglo«(1) noch nicht erhalten, aber ich kann Ihnen schon versichern, dass die Bewahrung unserer Freundschaft keiner Geschenke bedarf. Behalten Sie Ihr Geld. Wir werden unsere Schritte ohnehin ein wenig abstimmen müssen, denn mir ist gerade eine Idee gekommen, nach der

die des Herrn Malepert

nichts weiter bleibt als ein Gläschen Bier.

Er nennt sich Spitzen-Chemiker

und ist doch nur ein Däumchendreher,

wenn gründlich wird bedacht

mein Beitrag für die Wissenschaft

und dass alles kleiner Kram

was nicht kam von Arthur Cravan.

Für weitere Auskunftsangelegenheit

ein Brief an dieses große Herz schon reicht

an ihn in Tossa adressiert

nur da wär sein Empfang auch garantiert.

Man braucht an die 40 000 Franc und Szillar[d] (2), der die Idee exzellent findet, sagt, er werde den Abgeordneten Lerroux und den Bürgermeister von Barcelona dafür interessieren, da diese Sachen direkt die Belange der Stadt berühren. Wir werden das Geschäft auf Aktien errichten. Schauen Sie sich schon mal um, wer für eine Beteiligung in Frage käme. Vielleicht fallen Ihnen die Namen einiger Leute ein, die genug Schotter übrig haben und ihn gern in ein gutes Geschäft schütten würden, denn ich werde Geld mitbringen müssen; ansonsten entsteht der Eindruck, ich hätte eine Idee, die nichts taugt.

So werden Sie und auch Bibi Ihren Anteil an dem Geschäft haben. Sobald ich zurück bin, erläutere ich Ihnen mein Projekt genauer. Ich hatte das so genannte Barcelona-Fieber und bin immer noch nicht wieder richtig auf den Beinen.

Ich habe viel Gewicht verloren. In meinem nächsten Brief werde ich Ihnen von der Affäre Punin erzählen.

Seit Ihrer Abfahrt wird hier nicht mehr gefurzt. Klaps-Klaps für Paulo, Tschiip Tschiip, Schmalatz ! für Fianfiance. Ich drücke Ihnen die Hand und sende meine hochachtungsvollste Verehrung an Frau Humbert (Hum!)

A. Cravan


Diesen Donnerstag(3)

Lieber Freund

Vielen Dank für die 100 Mäuse, die mir eine große Hilfe waren, und für den Auftrag.

Sie sind die Liebenswürdigkeit in Person. – Wir kommen Montagmorgen zurück – haben unsere Weiterfahrt verschoben – wenn Sie zu Hause sind am Dienstagnachmittag, schauen wir auf einen kurzen Besuch herein.

Es regnet, es regnet. Die Familie Lloyd fährt morgen oder Samstag. Tossa leert sich, sieh an, sieh an. (4)

Bis bald mein Lieber, und 1 000 Grüße an Euch alle, A. Cravan


New York 19.1.17

Mein lieber großer Freund, ein Wort in aller Eile. Wundervoller Empfang. Ich fühle mich hier wie ein Fisch im Wasser. Vielleicht werde ich mein Debüt im Film geben. Was für eine bezaubernde Stadt, in jeder Hinsicht. Warten Sie, bis ich Ihnen ausführlicher berichte. Ich bin fast zu glücklich.

Hier meine Adresse:

Coady Gallery. (4)

489 Fith Avenue 489

New York // Ich werde mich bald mit der Importangelegenheit befassen. Meine herzlichsten Grüße an Ihre Frau und 1000 Küsse für das Tochtöchterchen und Klapkläpschen für Paula und Tatam, die ich vermisse, ich kann gar nicht sagen, wie sehr. (6)

Ganz der Ihre A.


[New York] Den 17. März 1917

Mein lieber großer Freund

Endlich Eure Karte. Haben Sie meinen Brief bekommen? Hoffentlich ja. Die Verbindung ist schlecht. Ich habe seit zwei Monaten keinen Brief von Renée erhalten und nicht ein einziges Wort von meiner Mutter. (7) Hier läuft alles bestens. Finanziell komme ich seit längerem gut durch.

Mach Dir da also keine Sorgen, Gegène! Heute oder morgen werde ich den Zaster für Renée telegrafieren, so dass sie zu mir kommen kann.

Offen gestanden habe ich mich noch nicht darum gekümmert, die Jacken, Trikots, Unterhosen, Socken etc. etc. an den Mann zu bringen, aber sobald ich damit beginne, mein Leben ehrlich zu verdienen, werde ich Ihnen einen Scheck schicken, um die Kosten für diese Mistdinger von Unterhosen zu begleichen. Übrigens habe ich einen Vertrag unterzeichnet mit einem Manager, der mich im Film oder Vaudeville für einen Mindestlohn von 1 500 Fr. die Woche unterbringen will. Und für Sie, die Dinge in Barcelona wollen nicht so richtig in Fahrt kommen. Ich rate Ihnen, nicht hierher zu kommen.

Ich hatte Glück. Wenn man es nicht sofort findet und keine Kumpel hat, ist es hart. Die Kumpel von Picabia habe ich nicht ausgehalten; sie gehen reichlich auf den Wecker!

Die Gleizes und diese ganze Klique treffe ich nicht. Aber trotzdem, wenn Sie Picabia sehen, übermitteln Sie ihm meine Grüße und dass Varese hier ein riesiges Orchester dirigieren wird. Man spricht darüber in allen Zeitungen.

Ich selbst werde schon sehr bald der Mann des Tages sein. Ich bin natürlich gerade dabei, eine fantastische Geschichte auf die Beine zu stellen und das wird ein Kracher. Alter, ich denke oft an Sie beide. Ich empfinde eine echte Freundschaft für Sie und Sie wissen, ich erkläre meine Freundschaft nicht einfach, verfickt noch mal nein. Sie glauben, dass wir uns nie wieder sehen werden, aber ich bin ganz und gar vom Gegenteil überzeugt und werde immer eine Reise machen, um Sie zu sehen. Sie sind eine feine Haut und das ist selten. Mit Freude habe ich vernommen, dass mein lieber Tatam glücklich ist. Danken Sie noch mal seinen Herrchen und seien Sie so gut, ihnen meine herzlichsten Grüße zu übermitteln.

He Sie, aufgepasst, beurteilen Sie mich nicht nach der Zahl der von mir geschriebenen Briefe. Sie dagegen berichten mir ja oft von Ihren Neuigkeiten. Scheiße, dieser Brief ist nicht gerade lang. Alles, alles Gute an Sie beide, meine lieben Freunde, und schreiben Sie mir oft, tausend Küsse für Lucette und etwas Getätschel für Paulo. Ich werde Ihnen einige außergewöhnliche Ansichten von New York schicken.

Alles für Sie und bis bald Arthur Cravan


Mexiko, den 8.1.18

Mein großer Freund

Wie geht’s? Ich bin für einige Zeit in Mexiko.

Ich denke oft an Sie und hoffe, Sie bald wieder zu sehen. Um ein Haar wäre ich nach Spanien abgefahren. Vielleicht wird daraus später etwas. Momentan spiele ich mit dem Gedanken, nach Buenos Aires oder Japan zu gehen. Ich bin bei guter Gesundheit. Unglaubliche Abenteuer habe ich erlebt. Erzähle Ihnen davon dann »viva voce«. Hören Sie, wir suchen Jack Johnson. (8) Wir haben ihm schon nach Barcelona telegraphiert. Man hat uns geantwortet, er sei abgereist, ohne eine Adresse zu hinterlassen. Wenn Sie ihn aufgabeln könnten, würden Sie mir den größten Dienst erweisen. Er muss unbedingt ein Telegramm an die Adresse schicken, die ich Ihnen am Ende des Briefes gebe. Wir haben einen reichen sportsman an der Angel, der bereit ist, für ihn zu bürgen und die Reisekosten zu begleichen. Schreiben Sie ihm das. Sie verschaffen mir dadurch einen Gewinn, der in die Tausende geht. Ich rechne auf Sie. In Barcelona ist für ihn ein bezahltes Anworttelegramm hinterlegt.

Meine allerherzlichsten Grüße an Euch beide und ein Schmatz an Fianfiance

Arturo Craván Mexico D.F.


(1) Zeitschrift, die über den Boxkampf gegen Jack Johnson berichtete.

(2) Léo Szilard, amerikanischer Physiker ungarischer Herkunft (1898–1964).

(3) Olho Lloyd an Humbert am Donnerstag, den 28. 9. 1916: »Es regnet, es regnet Schäferin« … »Fabian fährt auch am Montag ab.«

(4) Tossa de Mar, der Ort, an dem Cravan im Sommer 1916 seine Ferien mit Francis Picabia und Marie Laurencin verbrachte.

(5) Coady Gallery: Einen Monat vor der Ankunft von Cravan in New York hatte der amerikanische Kunsthändler Robert Coady eine englische Übersetzung des Gedichts »Sifflet« in seiner Zeitschrift The Soil veröffentlicht. Während seines Aufenthalts diente die Galerie von Coady Cravan als Adresse. Ein Interview von Coady mit Cravan über seinen letzten Boxkampf mit Jack Johnson erschien in der Ausgabe vom April 1917.

(6) Tatam ist der Hund von Cravan, auch Loulou oder P´tit Amie (und nicht Tam Tam wie in: Marie Lluïsa Borràs, Arthur Cravan, une stratégie du scandale, Paris 1996: 124).

(7) Renée wurde am 22. 8. 1880 in einem Dorf in der Charente-Maritime als d’Alphonse Bouchet geboren und teilte sieben Jahre lang ihr Leben mit dem Dichter. Anfang 1916 kommt sie wieder mit ihm in Barcelona zusammen. Als er in die USA abreist, überlässt er ihr seine siamesischen Katzen. Am 30. 12. 1916 erhält sie eine Karte aus Sevilla: »Sei nicht traurig. Du weißt doch, dass Du mich in zwei Monaten wiedersehen wirst. Du weißt, dass ich nicht gerade gesellig bin und dass ich sehr zufrieden sein werde, wieder mit meinem alten Kumpel zu sein.« Sie wird ihn nie wiedersehen.

(8) Am 23. 4. 1916 ging Arthur Cravan in Barcelona gegen Johnson nach sechs Runden k.o. Die Wege der beiden kreuzten sich von neuem in Mexiko. Im Dezember 1917 schrieb Cravan an Mina Loy: »Wir haben Johnson gekabelt, dass er hierher kommen sollte. Boxen ist sehr in Mode.« Die beiden exilierten Boxer versuchten vergeblich, gemeinsam eine Box-Akademie aufzubauen.

(9) Als Adresse war die Escuela de Cultura Fisica Ugartechea angegeben: Für seinen Lebensunterhalt gab Cravan hier Boxunterricht bis zum September 1918, als der Boxkampf gegen Black Diamond Jim Smith sich zu einem Desaster entwickelte (Cravan ging in der zweiten Runde zu Boden) und seiner Karriere als Boxer und Trainer ein Ende setzte. Sein Verschwinden im selben Jahr bleibt rätselhaft. Gewissen Aussagen zufolge ist er im Golf von Mexiko ertrunken. Seine Leiche sollte nie gefunden werden.


Subtropen

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